Schon die Zulassung zum Medizin-Studium ist ein erster Erfolg. Eine große Leistungsbereitschaft gepaart mit dem Bestreben, Menschen zu helfen, kann hier zum ersten Mal bewiesen werden und zieht sich wie ein roter Faden durch die folgende medizinische Karriere. Stringent organisiert werden die Studierenden auf dem Weg in den Krankenhausalltag, in die eigene Praxis oder die Klinikleitung geleitet. Das absolvierte Staatsexamen, die Facharztprüfung und die Leistungen im Berufsfeld führen dann automatisch zu dem nächst höheren Karriereschritt. Dem roten Faden muss theoretisch nur gefolgt werden.
Als approbierter Arzt oder Ärztin gibt es keinen Zweifel an einem auskömmlichen Leben mit hohem sozialen Status. Er oder sie hat es “geschafft”.
(Abb.1: KARRIERELEITFADEN)
Das Medizinstudium ebnet aber nur bedingt den Weg auf die praktischen Anforderungen im Krankenhaus, die auf die angehenden Mediziner:innen zukommen. Nach wie vor wird eine Wochenstundenzeit sogar von 60 Stunden überschritten und hierarchische Kommunikationsformen sind nicht nur am OP-Tisch Usus.
Während sich die Ansprüche der kommenden Generationen verändern und auch die Welt selbst brüchig und unvorhersehbar geworden ist (Stichwort VUCA und BANI), folgt das Krankenhaus einem scheinbar starren System. Das Magazin der Süddeutschen Zeitung druckt persönliche Fallbeispiele einer Journalistin, die sich gegen die Karriere im Krankenhaus entschieden hat unter dem Stichwort: Wie ein krankes System Ärzte verschleißt. Und Deutschlandfunk Kultur schlussfolgert: Deutschlands Kliniken läuft das Personal davon.
Vorausgegangen war eine Umfrage des Marburger Bunds (MB-Monitor 2022), die aufzeigt, dass knapp 25% der befragten Ärzt:innen überlegen, ihre Tätigkeit im Krankenhaus aufzugeben. Die FAZ listet einige Zitate aus der Umfrage auf und nennt sogar Gründe gegen ein Medizinstudium. Zu viele Überstunden, zu wenig Personal, eine ausufernde Bürokratie und mangelnde Digitalisierung werden genannt.
Nun arbeiten Krankenhäuser bereits mit einschlägigen Beispielen an einer Verkürzung der Arbeitszeiten (Stichwort: 4-Tage Woche), an einer offenen Unternehmensführung und wissen um die Wichtigkeit der Work-Life-Balance für die nächste Generation. Trotzdem mag es Mediziner:innen in einen anderen Arbeitsbereich ziehen.
Es gibt viele verschiedene Tätigkeitsfelder, in denen Mediziner:innen zum Teil händeringend gesucht werden. Approbierte Ärzt:innen können außer dem gewohnten Weg auch noch andere gehen und am Ende sogar wieder im Krankenhaus arbeiten.
Alternative Karrierewege in der Medizin
Die Berufsperspektiven, die sich nach einem Studium der Humanmedizin anbieten, reichen über den Weg in ein Krankenhaus, eine Praxis oder in die Universität hinaus.
(Abb.2: Alternative Karrierewege für Ärzte - ein Überblick)
Eine Tätigkeit in Forschung als Alternative zum Arztberuf kann dann interessant sein, wenn beispielsweise bereits eine experimentelle Doktorarbeit vorliegt. Für die Forschung muss in Kauf genommen werden, dass Experimente nicht gelingen oder lange Arbeitszeiten erfordern, dass es viele Bewerber:innen auf begehrte Stipendien oder Fördermittel gibt und dass die Ergebnisse publiziert werden müssen. Es ist kein einfacher Weg, für Interessent:innen jedoch durchaus lukrativ.
Auch die Karriere in der Wirtschaft ist vielfältig und reicht von der Tätigkeit für die Pharmabranche, über Medizininformatik bis hin zu einer Unternehmensberatung.
Als Arzt oder Ärztin für die Medizintechnik ist jede:r willkommen, die oder der die Geduld für bisweilen kleinteilige Arbeitsschritte mitbringt. Die Pharmaindustrie bietet Ärzt:innen wiederum viele Reisen, Vorträge und die Erforschung neuer Medikamente an. Hier kann sogar ein Aufstieg in eine Managementposition erfolgen.
Für Mediziner:innen, die geregelte Arbeitszeiten wünschen, ist wiederum die Arbeit im öffentlichen Dienst interessant. Schichtdienste eines Krankenhauses oder weite Reisen für das Pharmaunternehmen sind nicht vonnöten. Dafür ist eine Karrieremöglichkeit langsamer und die Gehaltsspanne geringer. Auch der Kontakt zu Patient:innen ist eingeschränkt. Allerdings sind die Spielräume groß. Es kann für den Gesundheitsschutz, die Gesundheitspolitik und spezialisierte Bereiche wie die Notfall- und Katastrophenmedizin oder die Umweltmedizin gearbeitet werden. Als Ärzt:in im Gesundheitsamt kann je nach Spezialisierung die Tätigkeit als Amtsärzt:in im sozialpsychiatrischen Dienst, dem Kinder- und Jugendärztlichen Dienst oder der Umweltmedizin erfolgen. Hierfür wird eine Weiterbildung zum Facharzt Öffentliches Gesundheitswesen benötigt, die zeitlich aufwendig wie andere Facharztweiterbildungen ist.
Schließlich gibt es noch andere Berufsperspektiven für eine Medizinerin oder einen Mediziner. Beispielsweise als Schiffsärzt:in, Journalist:in oder in der Politik, deren Karriere bis zum Bundesgesundheitsministerium oder der EU-Kommissionspräsidentschaft reichen können.
Ein Medizinstudium ist also vielseitig einsetzbar. Und laut der Lebenslaufforschung können auch Umwege zielführend sein, wie die Charité auf ihrem Karriereleitfaden anmerkt. Es seien sogar “entscheidende Chancen” und eine “erhöhte Lebenszufriedenheit” damit erreichbar. Gerade mit der - in Deutschland noch mangelhaften - Digitalisierung bietet sich ein großes Betätigungsfeld für Mediziner:innen. In der Medizininformatik können Ärzt:innen mit einer Weiterbildung oder einem Zusatzstudium an technischen Geräten, Datenbanken und Softwareentwicklung arbeiten und werden händeringend gesucht. Somit kann der Weg auch wieder zurück in ein Krankenhaus führen.
Denn zunächst verliert ein:e Mediziner:in mit dem Abbruch ihrer klassischen Karriere bisweilen den Kontakt zu Patient:innen, der für die Sinnhaftigkeit und Motivation des Berufes doch ausschlaggebend ist. In der Forschung kann aber zum Beispiel auch weiterhin in einer Klinik gearbeitet werden.
Schlangenlinien in der medizinischen Karriere
Einen alternativen Karriereweg zu beschreiten kann auch bedeuten, in den ärztlichen Beruf zurückkehren zu können. Dies ist für Führungskräfte äußerst interessant, weil sie beispielsweise in der Wirtschaft Erfahrungen sammeln können, die für die Leitung eines Krankenhauses wichtig sind.
Ein Wiedereinstieg in den Arztberuf nach längerer Auszeit wird aufgrund des Fachkräftemangels durchaus ermöglicht. War es in der klassischen Karriereplanung bisweilen ein Ausdruck von Schwäche, nicht den geraden Weg genommen zu haben, so kann es unter den heutigen Umständen als Bereicherung gesehen werden. Wichtig für eine “Rückkehr” in zum Beispiel ein Krankenhaus ist, den Wissensstand zu aktualisieren. Krankenhäuser können Ärzt:innen dabei durch Fortbildungen oder ein Mentorenprogramm unterstützen. Sie könnten damit eine weiter Lücke des grassierenden Personalmangels schließen.
Fazit
Gerade unter den Bedingungen einer BANI-Welt, die sich schnell verändert und Unsicherheiten erzeugt, ist Flexibilität sowohl in der Kommunikation als auch in Personalfragen wichtig. Umwege in der Karriere zu nehmen ist demnach eher eine Bereicherung als ein Manko. Dabei geht es für Studierende oder Absolventen auch um die Planung der nächsten Karriereschritte. Dem Magazin Ärztestellen zufolge kann es gute Gründe geben, in einem Krankenhaus zu bleiben, weil es beispielsweise bestimmte Unternehmenswerte vertritt. Wer sich für einen anderen Weg entscheidet, dem stehen jedoch vielfältige Möglichkeiten offen.
Ein Studium der Humanmedizin verspricht bei Arbeitgebern nach wie vor eine große Leistungsbereitschaft, die sich flexibel in viele Richtungen weiterentwickeln kann. Wie der Kontakt zu den Patient:innen bestehen bleiben kann, muss dann individuell untersucht werden. Es gibt jedoch Möglichkeiten, auch Fachkräfte wieder zurück in ein Krankenhaus oder eine Praxis zu integrieren, wenn sie eine Schlangenlinie genommen haben. Die Chance, dass sie sich auf dem Weg Wissen angeeignet haben, das dem Unternehmen dient, ist groß.