Eine Flexibilisierung von Arbeitszeiten ist aktuell branchenübergreifend im Gespräch. Die Vier-Tage Woche ist 2024 in Deutschland als Pilotprojekt mit 50 Unternehmen verschiedener Branchen gestartet, wie die Tagesschau ankündigt.
Work-Life-Balance im Gesundheitswesen ist ein Schlagwort, das in jeder Bewerbung vorkommt und auch die Benefits im Krankenhaus erreicht hat. Denn über Burnout-Erscheinungen auch beim Nachwuchs berichtete das Ärzteblatt schon 2019. Mit der Corona-Pandemie haben sich die Bedingungen verschärft und wurden sichtbar gemacht.
Und auch Ärzt:innen streiken gegen zu schlechte Bezahlung und wollen nicht mehr permanent am Limit arbeiten. Die 40-Stunden-Woche mit 5 Arbeitstagen plus Überstunden scheint durch vielfältige Erschöpfungssymptome in Frage gestellt zu werden.
Eine Vier-Tage-Woche im Gesundheitswesen ist also im Sinne der Zeitqualität und könnte neue Möglichkeiten bieten, die Arbeitsqualität zu verbessern. Es müssen aber einige Punkte beachtet werden, die hier exemplarisch aufgezeigt werden.
Fachkräftemangel und Arbeitsbelastung im Krankenhaus
Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ist besorgniserregend. Dies scheint im Widerspruch dazu zu stehen, Arbeitszeiten verkürzen zu wollen. Weil der Personalmangel die allgemeine Arbeitsbelastung allerdings noch verstärkt, müssen Lösungen gefunden werden. Innovative Dienstplanmodelle in der Pflege können dabei helfen, die Attraktivität des Pflegeberufes zu erhöhen und gleichzeitig die Versorgung der Patient:innen weiterhin zu verbessern, indem die Zufriedenheit der Mitarbeitenden gestärkt wird. Krankenhäuser bieten bereits unterschiedliche Modelle zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten in der Pflege an.
Modelle der 4-Tage-Woche in Pilotprojekten
Für eine 4-Tage-Woche kann einerseits die Arbeitszeit verkürzt werden, bei vollem oder angepassten Lohnausgleich. Andererseits kann auch an 4 Tagen die volle Stundenzahl gearbeitet werden. Gerade in der Pflege ist das sehr anstrengend und wird doch seit Herbst 2023 erfolgreich ausprobiert.
Das Klinikum Bielefeld konnte mit einem Pilotprojekt der 4-Tage-Woche sogar einen Zuwachs an Personal verzeichnen. Diese Arbeitsweise verspricht also einen Anreiz für Bewerber:innen.
Die Idee ist, an 4 Tagen die tariflich vereinbarten Arbeitsstunden zu absolvieren. Schichten sind also 9 Stunden lang mit einer halben oder dreiviertel Stunde Pause nach 6 Stunden. Der große Vorteil für das Krankenhaus und die Patient:innen liegt darin, dass die Überlappungszeit 2 Stunden beträgt. Während dieser Zeit ist dann überdurchschnittlich viel Personal anwesend und es können komplexe Maßnahmen gemeinsam getätigt werden. Es herrsche damit mehr Ruhe auf der Station und auch die Patient:innen merkten, dass die Pflegekräfte ausgeglichener und aufmerksamer sind, erklärt der Pflegedienstleiter Henrik van Gellekom.
Er erklärt die Prinzipien und Vorteile des Konzeptes in einem Podcast und in Fernsehsendungen. Auch die Mitarbeitenden müssen informiert werden, denn es bedeutet eine Veränderung des gewohnten Arbeitsrhythmus.
Tatsächlich werden dafür 10% mehr Personal benötigt, die Vorteile für Mitarbeitende sind aber so groß, dass die Bewerberzahlen in Bielefeld gestiegen sind. Denn die Mehrzahl an freien Tagen ist für Erholung, Freizeit und Familie und auch Mobilitätszeiten interessant. Müssen Angestellte lange Fahrtwege zu ihrem Arbeitsplatz einrechnen, können sie mit einer 4-Tage-Woche Fahrtkosten und - Zeit sparen. Auch Krankheitstage werden reduziert, wenn die Woche nur noch 4 Tage hat.
Der neue Dienstplan muss in jedem Fall mit dem Betriebsrat abgesprochen werden und die gesetzlich vereinbarten Pausenzeiten müssen eingehalten werden. Das Modell ist rechnerisch also komplex, bleibt aber im Tarifvertrag. Henrik van Gellekom spricht in diesem Beitrag von einem "Game Changer im Gesundheitswesen”, der den Pflegeberuf (wieder) attraktiv macht.
Eine Klinik in Soest ist diesem Ansatz auch schon gefolgt und das Klinikum Fürth hat 2023 die 4-Tage-Woche für den OP-Bereich getestet. Der Vorteil hierbei ist, dass die ohnehin langen Arbeitszeiten bei Operationen ohne Überstunden auskommen und die Regeneration der Belegschaft höher ist. Kritiker bemängeln, dass der freie Tag durch “Einspringen” für kranke Kolleg:innen wieder zunichte gemacht werden könnte.
Die Vier-Tage-Woche in der Pflege wird aber erfolgreich getestet und ausgebaut. Und die Hochtaunus-Kliniken haben in einem Pilotprojekt auch Ärzt:innen angeboten, auf die 4-Tage-Woche umzusteigen. In einem Krankenhaus ist dies möglich.
Schwierigkeiten bei 4-Tage-Woche für niedergelassene Ärzt:innen
Für niedergelassene Ärzt:innen scheint sich eine 4-Tage-Woche jedoch komplizierter herzustellen. Die Idee wird für Praxen aber durchaus diskutiert, wie das Ärzteblatt schreibt. Da niedergelassene Ärzt:innen einen sehr hohen Mehraufwand an Verwaltung haben, schlug der Virchowbund vor, den Mittwoch nur noch für Bürokratie zu nutzen und nicht mehr für Patient:innen zu öffnen.
Krankenkassen halten nichts von 4-Tage-Wochen für Arztpraxen titelt der MDR daraufhin und zitiert auch kritische Stimmen der Ärzteschaft. Denn die Menge der Patient:innen reduziert sich dadurch natürlich nicht. Sie würde eher auf die verbleibenden Tage verteilt und würde sowohl Ärzt:innen als auch wartende Patient:innen sehr erschöpfen. Gerade in ländlichen Gebieten, in denen die ärztliche Versorgung nicht flächendeckend gewährleistet ist, könnte das dazu führen, dass kranke Menschen in die Notaufnahme eines Krankenhauses gehen. Die Notaufnahmen sind bekanntermaßen aber auch überlastet. Und so würde sich die notwendige Versorgung immer weiter verschieben.
Flexibilität in Umsetzung und alternative Modelle
Scheinbar ist die 4-Tage-Woche also (noch) kein Allheilmittel, der aktuelle Zustand verlangt aber nach Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Denn lange Arbeitszeiten, chronischer Personalmangel und hohe Belastung aller Mitarbeitenden sind nicht nur eine Belastung für das Personal, sondern beeinträchtigen auch die Versorgung der Patient:innen.
Das Universitätsklinikum Würzburg hat mit FLEX4UKW ein anderes, aber ebenso innovatives Arbeitszeitmodell ins Leben gerufen, um Mitarbeitende zu binden. In diesem Modell entscheiden die Angestellten, wie viel sie arbeiten möchten und werden dann verbindlich in einen Bereich eingeteilt. Somit können Pflegefachkräfte wieder gewonnen werden, die schon in Rente gegangen waren oder solche, die noch Kita-Kinder betreuen. Für Nachwuchskräfte ist das auch interessant, weil die Bereiche ebenso flexibel gewechselt werden können und unterschiedliche Felder ausprobiert werden können.
Die Umsetzung erfordert in jedem Fall von allen Beteiligten eine Bereitschaft zur Veränderung. Gewohnte Arbeitszeiten werden umgestaltet, die Dienstpläne müssen neu erstellt werden und schließlich müssen sich die Beschäftigten bei gleichbleibenden Wochenstunden auf längere Schichten einstellen.
Eine Umstellung erfordert also sorgfältige Planung, Sicherstellung der Personalressourcen, Kommunikation mit den Mitarbeitenden und eine regelmäßige Evaluation.
Dies wird erleichtert, wenn sich Unternehmen auf eine offene Unternehmensführung einlassen. Denn die Kommunikation mit den Angestellten schafft eine Atmosphäre der Wertschätzung und Partizipation, die gerade für die auf den Arbeitsmarkt drängende Generation Z (Generationenübergreifende Teamarbeit im Life-Sciences-Bereich) sehr wichtig ist. Ebenso wie eine ausgewogene Work-Life-Balance. Darüber mit den Mitarbeitenden zu sprechen, wird zukünftige Kandidat:innen sehr motivieren.
Fazit
Die Einführung einer 4-Tage-Woche im Gesundheitswesen bietet also eine vielversprechende Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und damit die Qualität der Patient:innenversorgung zu erhöhen. Durch die Schaffung einer besseren Work-Life-Balance, die Reduzierung von Stress und Erschöpfung sowie die Steigerung der Produktivität kann die 4-Tage-Woche dazu beitragen, die Herausforderungen im Gesundheitswesen anzugehen und eine positive Arbeitsumgebung für bestehende und zukünftige Mitarbeitende zu schaffen. Sorgfältige Planung, Schulung und Unterstützung sollten sicherstellen, dass die Umstellung reibungslos verläuft und die gewünschten Ergebnisse erzielt werden. Eine offene Kommunikation ist hier von großem Vorteil und ein weiteres Zeichen der innovativen Grundhaltung eines Hauses.
Die Vier-Tage-Woche ist im Gesundheitswesen auf dem Vormarsch und sollte in jedem Fall in Betracht gezogen werden, um attraktiv und innovativ für zukünftige Bewerber:innen zu bleiben.